In der faszinierenden Welt der psychologischen Forschung sticht ein Fall besonders hervor: Das Milgram-Experiment. Diese bahnbrechende Studie wurde erstmals 1961 vom amerikanischen Psychologen Stanley Milgram durchgeführt. Er wollte herausfinden, wie weit Menschen gehen würden, um einem „Experten“ zu gehorchen. Sein Experiment offenbarte einen zutiefst schockierenden Aspekt der menschlichen Psyche.
Die Spannung steigt
Das Milgram-Experiment hatte einen einfachen Aufbau. Es bestand aus einem Versuchsleiter und zwei Teilnehmern. Der Ablauf des Experiments war jedoch inszeniert. Alle waren eingeweiht, außer die eigentliche Versuchsperson. Ihr wurde die Rolle des „Lehrers“ und dem eingeweihten Teilnehmer die Rolle des „Schülers“ zugeteilt. Der Versuchsleiter trug einen weißen Laborkittel, um seinen Status als Autoritätsfigur zu unterstreichen. Er erklärte den beiden anderen Teilnehmern, dass sie an einer wichtigen Studie teilnehmen würden, die den Zusammenhang zwischen Bestrafung und Lernerfolg untersuche.
Die nichts ahnende Versuchsperson wurde dann angewiesen, dem „Schüler“ Fragen zu stellen. Wenn dieser eine Frage falsch beantwortete, sollte die Versuchsperson den „Schüler“ bestrafen. Die Bestrafung erfolgte durch scheinbar echte elektrische Schocks. Mit jeder falschen Antwort wurde die Stromstärke erhöht. Trotz gellender Schmerzensschreie setzten die meisten Versuchspersonen die vermeintlich echten und zunehmend schmerzhaften Schocks fort. Ermutigt durch den Versuchsleiter betätigten sie weiterhin den Knopf für die Elektroschocks, selbst wenn der „Schüler“ darum flehte, das Experiment abzubrechen.
Ist Unterwürfigkeit menschlicher als Empörung?
Im Verlauf des Experiments baute sich in der Versuchsperson ein innerer Konflikt auf. Auf der einen Seite empfand sie Mitgefühl gegenüber dem anderen Teilnehmer. Auf der anderen Seite sah sie sich verpflichtet, den sadistischen Befehlen des Versuchsleiters zu gehorchen. Selbst wenn es die eigene moralische Überzeugung verletzte, war die Mehrheit jedoch bereit, den Anweisungen des „Experten“ zu folgen. Das ging so weit, dass sie anderen aktiv und bewusst Schaden zufügten. Ist unsere Neigung zum blinden Gehorsam stärker als unser Mitgefühl?
Die Ergebnisse des Milgram-Experiments regten eine große Debatte unter Psychologen an. Insbesondere wurde die Frage angestoßen, welche Verantwortung mit diesem Wissen einhergeht. Soll man die Bevölkerung vor möglichem Missbrauch im Namen der Wissenschaft warnen? Oder soll man das blinde Vertrauen der Menschen in Autoritätsfiguren nützen? Falls ja, wie weit dürfen Wissenschaftler gehen, um die Macht ihrer Autorität für „gute Zwecke“ auszuüben?
Manipulation und Propaganda
Das Milgram-Experiment unterstreicht, dass Menschen häufig die Werte von anderen annehmen, weil sie dazugehören möchten. Moral ist dabei nicht ausschlaggebend. Es zählt nur, dass die Experten („die Wissenschaft“), die Gruppe oder die Gesellschaft diesen Wert mit Belohnung verknüpft. Besonders anfällig für die unkritische Übernahme aufgedrängter Werte sind Personen, die anderen gefallen wollen und daher nicht die Kraft zum Widerstand aufbringen. Sie lassen sich leicht manipulieren und werden schnell zu Mitläufern.
Mit der Manipulation der Massen ist in der Regel eine Zunahme an Macht sowie finanzieller Gewinn verbunden. Manipulation im großen Stil wird zusätzlich kaschiert, indem sie mit positiven Werten wie „Toleranz“, „Solidarität“ und „Nachhaltigkeit“ geschmückt wird. Somit schmeichelt man dem Bürger, Wähler oder Konsumenten mit dem Gefühl der moralischen Überlegenheit. Propaganda ist die systematische Anwendung solcher Formen von Manipulation mit dem Ziel die Bevölkerung zu kontrollieren und zu steuern.
Die Psychologie des Totalitarismus
Der belgische Psychologe Mattias Desmet hat in den letzten Jahren den Zusammenhang zwischen Propaganda und der Entstehung einer neuen, überkontrollierten Gesellschaft untersucht. Diese Entwicklung besteht aus den folgenden Schritten:
- Die Verbreitung einer materialistischen Sicht auf den Menschen und die Welt.
- Eine Zunahme von Einsamkeit und einem Gefühl der Sinnleere in der Bevölkerung.
- Die Herausbildung einer Elite, die Propaganda als Mittel zur Kontrolle und Steuerung der vereinsamten Bevölkerung einsetzt.
Im Zustand der Einsamkeit sind Menschen für Propaganda besonders anfällig. Die „einsamen Massen“ suchen nach Zugehörigkeit. Doch anstatt Beziehungen mit anderen Individuen aufzubauen, verbinden sie sich mit einem vom Staat vorgegebenen kollektiven Ideal. Der Staat bietet Zusammenhalt und wird zur Familie. Damit ist der Weg für die Masse an Mitläufern geöffnet. Wer nicht mitzieht, gilt als illoyal und unsolidarisch. (Kommt Ihnen das bekannt vor?)
Am Ende ist in einem totalitären System das Undenkbare möglich: Mütter und Väter denunzieren ihre Kinder und Kinder ihre Eltern. Wenn dieser Punkt erreicht wurde, hat die Elite die totale Kontrolle über die Menschen gewonnen.
Das Milgram-Experiment belegte eindrucksvoll, welche Macht vermeintliche Experten ausüben. Eliten machen Gebrauch von der Schwäche der menschlichen Natur. Aber zum Glück liegt die letzte Freiheit dennoch bei Ihnen. Wie werden Sie sich entscheiden, wenn Autorität und Moral aufeinander prallen?