„Irgendwann kam der Punkt, wo wir uns plötzlich nicht mehr riechen konnten. Wir haben das Interesse aneinander verloren. Besonders seitdem das Kind da ist. Wir haben uns auseinander gelebt. Schuld an unserer Beziehungskrise ist aber mein Partner. Schließlich will er mir nicht zuhören.“ Solche Geschichten hören Paartherapeuten zur Genüge. Aber es muss gar nicht erst so weit kommen.
Beratungsresistent
In einer Beziehung entstehen große Probleme, wenn einer der Partner oder beide beratungsresistent sind. Beratungsresistente Menschen sind unfähig, den Partner zu verstehen. Sie nehmen die Partnerschaft als Machtkampf wahr und glauben, Zuhören sei eine Niederlage. Zusätzlich entsteht ein Konkurrenzverhalten, was mit einer entsprechenden Bewertung des anderen einhergeht: „So viel verdiene ich, wie viel verdienst du?“ Oder: „Ich habe die letzte Windel gewechselt, jetzt bist du dran.“ Eine solche Kommunikation im familiären Alltag kann einen zermürben.
Eigentlich passt das männliche mit dem weiblichen Profil ideal zusammen. In der Gender-Medizin ist nicht Konkurrenz, sondern Ergänzung das große Stichwort. Im 19. Jahrhundert wurden Frauen als minderwertig betrachtet und waren den Männern untergeordnet. Sie waren von höherer Bildung und vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens ausgeschlossen. Ab den 1980ern entwickelte sich ein Konkurrenzdenken zwischen den Geschlechtern. Jeder wollte plötzlich alles können. Frauen wollten sich auf dem Arbeitsmarkt gegen Männer durchsetzen. Männer mussten beweisen, dass sie bessere Mütter sind. Heute sind wir zumindest in der Medizin so weit, dass wir verstehen, dass es um gegenseitige Ergänzung geht.
Beziehungskrise wegen falschen Prioritäten
Der Kern der Familie muss die Paarbeziehung sein. Viele Beziehungskrisen entstehen, weil die Kinder über den Partner gestellt werden. In der Paartherapie fällt dann meistens die Bemerkung: „Er ist eh erwachsen. Der kann doch für sich selbst kochen. Aber das Kind braucht mich.“ Wenn es dann so weit gekommen ist, gibt es kein empfundenes „Wir“ mehr.
Beide sind so auf das Kind fokussiert, dass die Partnerschaft zu kurz kommt und langsam zerbricht. Langfristig wird eine kaputte Partnerschaft aber auch dem Kind schaden.
Viele Studien belegen, dass der Narzissmus in der Gesellschaft zunimmt. Dieser Trend hat auch damit zu tun, dass Kinder von den Eltern über den Klee gelobt und erhöht werden. Das Kind wird teilweise als Ersatzpartner betrachtet, während es bereits in jungen Jahren die Probleme zwischen seinen Eltern miterlebt. Das ist äußerst schädlich für eine gesunde psychische und soziale Entwicklung eines Kindes.
Klare Ordnung
In einer Familie ist der Stellenwert der Kinder idealerweise unter der Partnerschaft. Wenn Mutter und Vater trotz ihrer charakterlichen Unterschiede miteinander harmonisieren, profitieren die Kinder am meisten davon. Nach Partner und Kindern kommt lange nichts und dann erst kommen die Eltern bzw. Schwiegereltern. Das ist ganz wichtig, denn wenn sich Eltern oder Schwiegereltern zu sehr in die Ehe einmischen, kann sie leicht ins Wanken geraten.
Die Kernfamilie ist genau das: ein Keim, aus dem neues Leben wächst. Und im Zentrum steht das Paar, dann kommen die Kinder. Auf der nächst tieferen Ebene in der Prioritätsskala stehen Eltern und Schwiegereltern, dann kommen Geschwister und der Freundeskreis.
Zurück zum „Wir“
Wovon wird das „Wir“ in einer Ehe getragen? Drei Dinge sind hier wichtig. Erstens, die Attraktivität. Je mehr sich Mann und Frau unterscheiden, umso attraktiver wirken sie aufeinander.
Zweitens, Weltanschauung und Religion. In diesem Bereich muss es eine klare Übereinstimmung der Werthaltungen geben. Die Herzen müssen auf der gleichen Wellenlänge schwingen. Dann ist das Band der Ehe stark.
Der dritte entscheidende Punkt ist die Fähigkeit zur Selbsttranszendenz, wie es Viktor Frankl nannte. Selbsttranszendenz befähigt den Menschen, über sich selbst hinaus zu wachsen. Insbesondere in einer Partnerschaft ist diese Fähigkeit entscheidend. Selbsttranszendenz bedeutet, sich am Wahren, Guten und Schönen zu orientieren. Wenn das gelingt, ist es auch viel leichter, sich selbst aus der Distanz zu betrachten. Es ist dann einfacher, seine eigenen Fehler und Schwächen einzugestehen.
Die Kraft der Demut
Ein Streit hat in der Regel immer damit zu tun, dass man sich selbst im Recht sieht und der andere hat Unrecht. Der andere hat einen Fehler gemacht, daher muss ich ihn auf seinen Fehler hinweisen. Langfristig führt das zu angespannten Beziehungen.
Es gibt drei Zauberworte, die die Partnerschaft und die Familie zusammenhalten. Diese sind „Danke“, „Bitte“ und „Entschuldigung“. Diese drei Wörter zu beherrschen und korrekt einzusetzen, ist eine psychisch gesunde Haltung.
Demut hilft, den Fehler des anderen zu relativieren. Vielleicht hat der andere etwas falsch gemacht. Aber auch ich habe mich falsch verhalten und muss daher um Entschuldigung bitten. Bitten und Danken ist eine Sache des respektvollen Umgangs. Damit drücken wir aus, dass der andere für uns nicht selbstverständlich ist. Man betrachtet den anderen nicht als Konkurrenten, sondern als Ergänzung: „Danke, dass du bist, wie du bist.“
Es ist beeindruckend, wieviel ein Mann von einer Frau lernen kann, wenn er nur zuhört. Dasselbe gilt natürlich auch umgekehrt.