Nicht-Ankommen ist das quälende Gefühl, nicht am richtigen Platz zu sein. Dieses Gefühl ist weder falsch noch schlecht. Es sagt einem zunächst nur, dass man einen Mangel hat. Heimat gibt einem die Kraft, das Leben anzupacken. Jeder Mensch braucht früher oder später eine Heimat, wo er Wurzeln schlagen kann. Wie findet man seine „wahre“ Heimat? Und was macht chronisches Heimweh mit uns? Dr. Raphael Bonelli diskutiert diese Fragen in seinem neuen Bestseller Die Kunst des Ankommens.
Der Verlust der Heimat
Heimat bedeutet Fundament: Ohne Fundament wird das Leben beliebig, gleichgültig und improvisiert. „Heimat“ ist kein streng psychologischer Begriff, aber viele Sprachen haben ein entsprechendes Wort. Heimat umfasst eine Vielfalt von diffusen Emotionen, nebulösen Vorstellungen und größtenteils unbewussten Erinnerungen an Glücksmomente der Kindheit. Mit Heimat wird ein Gefühl von Zugehörigkeit und Sicherheit verbunden. Durch wiederholte Prägung in einem sicheren, sozialen Umfeld entwickelt sich das emotionale Bild einer heilen Welt, eines paradiesischen Zustandes, oder eines „gelobten Landes“.
Umgekehrt ist der Verlust dieser Heimat verbunden mit einem beklemmenden Gefühl der Fremdheit. Wir erfahren uns als verloren in einer gefallenen, unsicheren und chaotischen Welt.
Diagnose Heimweh
Der Mensch der Gegenwart leidet an einem inneren Schmerz der Seele. Er fühlt sich nicht wohl in seiner Haut. Er fühlt sich fehl am Platz. Am meisten fehlt ihm ein Gefühl der Sinnhaftigkeit. Das Herz bleibt unerfüllt. Er hat seine Heimat nicht gefunden und dafür gibt es viele Gründe.
Zum einen ist der heutige Mensch völlig überfordert. Er hat eine praktisch unendliche Zahl an beruflichen, partnerschaftlichen und spirituellen Optionen. Die schiere Menge an Möglichkeiten erschwert aber Entscheidungen. Der globale Markt bietet unzählige Angebote an Literatur, Hobbys, Konsumwaren und Lebensentwürfe. Die Auswahl ist so überwältigend, dass sie die Menschen nicht mehr inspiriert, sondern lähmt.
Die Qual der Wahl wirkt sich auch dramatisch auf die Bindungsfähigkeit aus. Die Qualität von Beziehungen nimmt rapide ab. Sie werden transaktional. Partnerschaft wird also zur Ware, die man online per App „bestellen“ kann. Differenzen werden nicht mehr ausgehalten, Probleme nicht gemeinsam bewältigt, denn schließlich ist der Partner jederzeit austauschbar.
Hinzu kommt, dass das gesellschaftliche Klima als Ganzes kälter wird. Denken ist nur innerhalb von vorgegebenen Schienen gestattet. Politik und Medien moralisieren und spalten. Wer vom Mainstream ausschert, wird diffamiert. Eine humorlose Sprachpolizei ächtet und demütigt Menschen, die ihre Gedanken frei äußern, ohne jedes Wort extra zu gendern. Das grandiose Konzept der „offenen Gesellschaft“ ist für den Otto Normalverbraucher eine herzlose Worthülse, die mit ideologisch einseitigen Inhalten gefüllt ist. Unter dem Deckmantel von „Toleranz“ und „Vielfalt“ wird keine Abweichung von der veröffentlichten Meinung geduldet. Schleichend und unbarmherzig erstreckt sich die Bevormundung durch Politik und Medien auf immer größere Themenfelder: Migration, Gesundheit, Klima und Kriege an Europas Grenzen.
Geistige Orientierungslosigkeit
Neben Überforderung, Bindungsunfähigkeit und einem unbarmherzigen Klima gibt es noch einen anderen Faktor, der den Menschen unruhig macht: spirituelle Orientierungslosigkeit. Das vorherrschende Gefühl des Zeitgeistes ist Rastlosigkeit, Unsicherheit und Zukunftsangst. Was einst von heiligem und ewig gültigem Wert war, wird heute lächerlich gemacht. Anstelle traditioneller Ideale sind oberflächliche Trends und irrationale gesellschaftliche Konventionen getreten: Klima-Apokalypse, Maskenwahn und Transgender-OPs. Über Gott wird nicht mehr geredet. Er ist bei den Menschen heimatlos geworden.
Psychologisch gesehen ist Religiosität eine Ressource, die unsere Vorfahren befähigte, über die Sorgen des Alltags hinauszugehen und in größeren Zeiträumen zu denken. Kurzfristige Bedürfnisbefriedigung war nicht ihr alleiniger Lebensinhalt, sondern es gab etwas Höheres. Noch heute zeugen die großen Kathedralen des europäischen Mittelalters – die ohne Maschinen unter immensen Opfern errichtet wurden – vom tiefen Glauben, der die Menschen früher bewegte. Heute ist in der gesellschaftlichen Breite davon kaum etwas übrig. Im Gefolge von Aufklärung und Säkularisierung wurde der Glaube an die göttliche Vernunft durch den Glauben an die menschliche Vernunft ersetzt.
Ende des 19. Jahrhunderts rief Nietzsche aus: „Gott ist tot!“ Er sah voraus, dass die Leere, die das Christentum hinterlässt, mit etwas Neuem gefüllt werden würde. Dieses Neue werde aber schrecklich und monströs sein. Tatsächlich traten die gottlosen, totalitären Ideologien wie der Kommunismus und später der eng verwandte Nationalsozialismus anstelle christlicher Werte. Wer an kein höheres Wesen glaubt, ist durch die Versprechung eines weltlichen Paradieses leicht verführbar. Ernst Jünger hat den Zeitgeist treffend formuliert: »Die verlassenen Altäre sind von Dämonen bewohnt.«
Spirituelle Intelligenz
Der amerikanische Autor Stephen R. Covey prägte den Begriff „spirituelle Intelligenz“. Mit diesem Begriff meint Covey die Fähigkeit, tiefere Werte, Ziele, und Sinn im Leben zu erkennen. Covey betont, dass spirituelle Intelligenz die grundlegendste Form der Intelligenz ist, da sie sich mit den existenziellen Fragen des Lebens beschäftigt. Sie geht über Kopf und Bauchgefühle hinaus und beschäftigt sich mit dem „Warum“ des Lebens.
Spirituelle Intelligenz hilft uns, unser Handeln in Einklang mit einem höheren Zweck zu bringen. Covey betont, dass Menschen, die eine hohe spirituelle Intelligenz besitzen, häufig von einer tief empfundenen Berufung oder Sendungsbewusstsein angetrieben werden. Spirituelle Intelligenz fordert uns heraus, unser Leben auf universelle und zeitlose Werte auszurichten. Zu diesen gehören Integrität, Ehrlichkeit, Mitgefühl und Demut. Wer diese Werte als Kompass für sein tägliches Handeln wählt, zeigt spirituelle Reife.
Spirituell intelligente Personen hören auf ihre innere Stimme, ihrem Gewissen, um zwischen gut und böse zu unterscheiden. Das macht sie weniger anfällig für äußere Einflüsse und lässt sie ein sinnerfülltes Leben führen. Die Integration einer gesunden Spiritualität ist ein Schlüssel zur Überwindung der neuen Volkskrankheit: das chronische Heimweh.
Ohne eine bestimmte Konfession zu bevorzugen, sahen auch renommierte Psychologen in der Spiritualität die höchste Form des Ankommens. Denn sie öffnet einen Weg, der zu Ganzheit, inneren Frieden und schließlich Selbsttranszendenz führt. Möchten Sie mehr mehr über die psychologischen Grundlagen des Ankommens erfahren? Dr. Bonelli geht auf dieses Thema in seinem neuem Buch Die Kunst des Ankommens ein.