Es gibt einen Menschenschlag, der uns immer wieder begegnet: Der Denunziant. Das Denunziantentum gehört zu den zwanghaften Persönlichkeitsstörungen. Gerade in den letzten Jahren häuften sich die Meldungen von Regelbrüchen. Wie ticken Denunzianten? Was ist die Psychologie hinter ihrem Verhalten?
Regeln statt Menschlichkeit
Charakteristisch für Denunzianten ist, dass sie sich selbst gar nicht als solche verstehen. Im Gegenteil, Denunzianten begreifen sich als höchst „solidarisch“, wenn sie mit dem Finger auf andere zeigen, um auf deren „Fehlverhalten“ hinzuweisen. Es handelt sich meistens um verunsicherte Menschen, die klare Regeln brauchen und sich Bestätigung von außen holen. Weil sie einen engen Horizont besitzen, sind sie ganz besonders auf die strikte Einhaltung von Regeln bedacht, ohne diese in Verhältnis zu setzen.
Denzunzianten sind Menschen, die z.B. Autofahrer oder Fußgänger anzeigen, weil sie nachts bei Rot die Straße überqueren, auch wenn weit und breit kein anderer Verkehrsteilnehmer da ist. Sie fühlen sich gut dabei, wenn sie melden dürfen, was andere falsch machen. Besserwissen und Rechthaben wirken befriedigend auf sie.
Fallbeispiel eines Denunzianten
Ein weiteres Beispiel, das sich vor Kurzem zugetragen hat: Eine junge Frau war mit ihren beiden Töchtern im Alter von acht und zehn Jahren in einem Krankenhaus, weil die jüngere operiert werden musste. Im Wartebereich am Ende eines Ganges spielten sie gemeinsam Mensch-ärgere-Dich-nicht. Sie waren allein im Raum und hatten daher die FFP2-Masken abgenommen. Nach zwanzig Minuten kam ein älterer Herr auf sie zu. Er gab sich besonders freundlich, machte kleine Witzchen und fragte die Familie, was sie denn spielen würde. Plötzlich verließ er den Raum. Vom Gang her hörte die Mutter noch, wie er sie hinterrücks bei den Krankenschwestern denunzierte: „Schweinerei, die haben keine Masken auf!“
Die Schwestern haben die Familie zunächst noch verteidigt, aber der Herr bestand auf Einhaltung der Regeln. Dann kam eine Schwester in den Aufenthaltsraum und sagte zur Mutter, dass es eine Beschwerde wegen der Maske gäbe. Daraufhin stand die junge Dame tatsächlich auf, ging zum Mann und sagte ihm: „Danke! Sie wären ein guter Blockwart geworden.“ Er hat sich natürlich echauffiert und bestand darauf, dass die Regeln gefälligst zu befolgen seien. Er reagierte äußerst aggressiv und seine sprichwörtliche Maske war endgültig gefallen.
Denunzieren als Tugend
Denunzianten fühlen sich beglückt, wenn sie als erste ein Fehlverhalten von Menschen in ihrer Umgebung aufdecken können. In einem System, in dem ständig neue Maßnahmen und Verhaltensnormen bestimmt werden, bleiben sie am Laufenden. Sie demonstrieren damit, dass sie die Regeln besser wissen als andere und sehen sich in einer Position, wo sie über andere urteilen dürfen, ja sogar müssen. Dieses penible Beharren auf Details ist ein Wesenszug von Perfektionisten, aber auch von zwanghaften Personen, die ihr Selbstwertgefühl daraus schöpfen, dass sie sich über andere erheben.
Im Fall des Maskenzwangs freut sich der Denunziant, wenn er jemanden ohne erwischt. Dem kann er dann die Leviten lesen. Er kann ihn fertig machen und sagen, was für ein rücksichtsloses Schwein er doch sei. All das lässt sich außerdem noch als Tugend beschönigen. Schließlich gehe es ihm um „gelebte Solidarität“. Grundlegende Höflichkeit wird über Bord geworfen, denn wer sich nicht an die Regeln hält, verdient auch keinen Respekt. Dass jemand vielleicht aufgrund seines Alters oder einer Schwangerschaft gar keine Maske tragen soll, kommt einem Denunzianten gar nicht in den Sinn.
Dem Denunzianten geht es also nicht um das Wohl des anderen. In seiner Blockwartmentalität achtet er minutiös darauf, dass alle anderen die Regeln einhalten. Er reflektiert nicht darüber, ob die Regeln für vulnerable Personen wie Behinderte oder Asthmatiker überhaupt relevant sind. Der oben genannte Fall mit dem älteren Herrn war eigentlich eine Ausnahme. Denn normalerweise agieren Denunzianten anonym und unter vorgehaltener Hand. Und das ist das Scheinheilige dabei: Denunzianten möchten im Verborgenen bleiben. Sie scheuen, die persönliche Begegnung auf Augenhöhe.
Zusammenfassung
Die 5 wichtigsten Eigenschaften von Denunzianten:
1. Denunzianten freuen sich, wenn sie über das (vermeintliche) Fehlverhalten anderer berichten können.
2. Sie benötigen klare Regeln und holen sich die Bestätigung ihrer Meinung von Autoritätspersonen.
3. Die penible Einhaltung von Regeln ist für sie wichtiger als Menschlichkeit. Es befriedigt Denunzianten, wenn sie dabei den Besserwisser und Rechthaber spielen dürfen.
4. Sie begreifen ihre Handlung als solidarisch und tugendhaft.
5. Denunzianten scheuen die persönliche Konfrontation.