Klimaschutz und moralischer Narzissmus

  • Redaktion
  • ca. 5 Minuten Lesezeit

Teilen Sie diesen Artikel

In einer freien Gesellschaft ist öffentlicher Protest ein legitimes Mittel. Es ist völlig in Ordnung, sich auch durch ungewöhnliche Aktionen Gehör für die eigene Sache zu verschaffen. Die Grenze wird jedoch dort überschritten, wo anderen Menschen vorsätzlich im Namen politischer Ziele geschadet wird. Rücksichtslose Selbstinszenierung und die Bevormundung anderer: Das ist moralischer Narzissmus. Diese psychologische Störung kann das Klima gefährden.

Kleben für das Klima

Sie nennen sich die „Letzte Generation“. Seit Anfang 2022 erregt diese Gruppe von Klimaaktivisten durch spektakuläre Straßenblockaden für öffentliches Aufsehen. Bei ihren Störaktionen kleben sich Aktivisten mittels Sekundenkleber auf die Straße fest und warten bis die Polizei einschreitet. Aktionen dieser und ähnlicher Art wurden in Deutschland und Österreich bereits auf Flughäfen und Museen ausgeweitet.

Das Ziel der Letzten Generation: Durch radikalen Protest sollen Maßnahmen gegen den Klimawandel erzwungen werden. Würden diese Maßnahmen nicht ehestmöglich ergriffen werden, so die endzeitliche Warnung der Gruppe, würde die „Lebensgrundlage“ auf unserem Planeten nachhaltig zerstört werden.

Prinzipiell ist das Anliegen der „Klimakleber“ verständlich und berechtigt. Natürlich ist es unsere Pflicht, die Erde intakt an die nächste Generation weiterzugeben. Als Vater von fünf Kindern ist es mir ein besonderes Anliegen, die Schöpfung zu bewahren. Wir müssen unsere Umwelt schützen und ein lebensfreundliches Klima sichern. Das Ziel ist also gerechtfertigt. Fraglich ist nur die Methode.

Doppelte Standards

Manche der Klimaaktivisten legen eine ungeheure Doppelmoral an den Tag: Der Maßstab, den sie einfordern, gilt für andere, aber nicht für sie selbst. Ein besonders brisanter Fall, der für öffentliche Aufmerksamkeit sorgte, unterstreicht dieses problematische Verhalten. Zwei Aktivisten der Letzten Generation versäumten ihren eigenen Gerichtstermin, weil sie gerade Urlaub auf Bali verbrachten. Während sie also anderen das Autofahren verbieten wollen, erlauben sie sich selbst den Luxus einer 20-stündigen Flugreise hin und retour. Bezeichnenderweise beschönigte der Sprecher der Gruppe das PR-Desaster damit, dass die betreffenden Personen die Reise nicht als Klimaschützer sondern als „Privatleute“ gebucht hätten. Heißt das, wir dürfen in der Freizeit CO2 ausstoßen, aber nicht, wenn wir beruflich unterwegs sind? Die Diskrepanz zwischen Forderung und eigener Praxis ist frappierend.

Hier setzt das logische Denken aus, was für eine rein gefühlsmäßige Art der Argumentation typisch ist. Wo das eigene Sendungsbewusstsein überhandnimmt, ist kein Raum für kritische Selbstreflektion. Diese Haltung nennt sich moralischer Narzissmus. Moralischer Narzissmus bedeutet, „Ich fühle mich dir überlegen, weil ich gut bin und du nicht, weil du nicht tust, was ich dir sage.“ Zwei Aspekte sind in dieser Form der Persönlichkeitsstörung also wesentlich: Zum einen eine überhöhte Selbstidealisierung und zum anderen eine Fremdabwertung. Diese Haltung ist nicht vereinbar mit einer liberalen, demokratischen Gesellschaftsordnung, wo die Freiheit des einen die Freiheit des anderen nicht einschränken darf.

Bauchgefühl statt Reflektion

Eine weitere Verzerrung in der Wahrnehmung moralischer Narzissten betrifft die Werteordnung. Sie stellen einen bestimmten Wert – in diesem Fall, die Bewahrung der Schöpfung – in den Vordergrund und lassen andere Werte, wie etwa ein solidarisches Zusammenleben, völlig außer Acht. Ein einziger Wert wird somit von allen anderen Werten losgelöst und erhoben. Diese Radikalisierung ist die Konsequenz davon, dass die eigenen Emotionen im Mittelpunkt stehen und die Vernunft ausgeblendet wird. Das kann auch als Bildungsdefizit aufgefasst werden. Dieser wird dadurch nicht besser, dass die Klimaproteste häufig kurz vor Acht die Straßen blockieren, während tausende von Schülern auf dem Weg zur Schule sind. Menschen, die einer geregelten Arbeit nachgehen, werden aufgehalten und verspäten sich. Noch schmerzlicher ist es, wenn Rettungsfahrzeuge behindert werden.

Das Klimakleben lebt von der Inszenierung. An den Aktionen beteiligen sich in der Regel nur wenige Personen, denen es aber gelingt, ganze Brücken zu blockieren. Dabei wird ein Banner mit Parolen queer über die Straße gespannt und alles wird mit einer großen Kamera aufgenommen. Die unfassbare Rücksichtslosigkeit gegenüber der Öffentlichkeit ist wiederum ein Symptom des Narzissmus: „Mir ist es egal wie es dir geht, hier geht es um mich. Es geht darum, dass ich ins Fernsehen komme, während ich eine illegale Blockade aufbaue. Und wenn du mir etwas antust, dann ist das dokumentiert und ich kann dich verklagen. Und so rette ich die Welt.“

Verlust der Empathie, Gefahr für das Klima

Beim Narzissmus ist die Empathie gegenüber anderen deutlich reduziert. Dieses Merkmal konnte auch bei den Mitgliedern der Roten Armee Fraktion (RAF) festgestellt werden. Die Geschichte der linksextremen Terrorgruppe erstreckte sich über drei Generationen, in welcher über hundert Menschen aktiv waren. Auf das Konto der RAF gehen Geiselnahmen, Banküberfälle, Sprengstoffattentate und andere Straftaten. Die RAF-Täter waren so von ihrer Sache und dem Kampf gegen den Kapitalismus überzeugt, dass sie bereit waren, über 30 Morde zu begehen. Das Sendungsbewusstsein der RAF, die von der linken Studentenbewegung der 1960er Jahre geprägt war, ähnelt strukturell der Psychologie der Klimaaktivisten. Kein Gegenargument zählt. Die Würde des Menschen wird dem politischen Ziel skrupellos untergeordnet.

Ulrike Meinhof, die Mitbegründerin der RAF, brachte diese Haltung folgendermaßen auf den Punkt:

Wir sagen natürlich, die Bullen sind Schweine, wir sagen der Typ in Uniform ist ein Schwein, das ist kein Mensch, und so haben wir uns mit ihm auseinanderzusetzen. Das heißt, wir haben nicht mit ihm zu reden, und es ist falsch, überhaupt mit diesen Leuten zu reden, und natürlich kann geschossen werden.

https://www.spiegel.de/politik/natuerlich-kann-geschossen-werden-a-eeb9c6b2-0002-0001-0000-000044931157?context=issue

Narzissten sind nicht willens, sich in andere hineinzuversetzen. Bei einer radikalen Ausprägung von Narzissmus geht schließlich jede Empathie verloren bis hin zur Gewaltbereitschaft. Zu den weiteren Merkmalen des Narzissten zählen eine übertriebene Vorstellung der eigenen Wichtigkeit; die Erwartung, von anderen bevorzugt behandelt zu werden; und die Ausbeutung anderer, um die eigenen Ziele zu erreichen (vgl. Falkai/Wittchen 2015).

All diese Eigenschaften treffen dort auf Klimaaktivisten zu, wo der Schaden anderer in Kauf genommen wird, um die eigene Agenda voranzubringen. Der moralische Narzissmus führt zu doppelten Standards in der Bewertung der eigenen Bedürfnisse und jener der anderen. Wer Wasser predigt, aber Wein trinkt, vergiftet am Ende das zwischenmenschliche Klima. Nachhaltiger „Klimaschutz“ kann nicht auf Kosten der Menschenwürde geschehen.

Literatur

Falkai, P., Wittchen, H.-U. 2015. Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen DSM-5. Göttingen: Hogrefe.

Bildquellen
Stefan Müller (climate stuff, 1 Mio views) from Germany, Polizei löst GlueOns der Blockiererinnen vom Aufstand der Letzten Generation (51946094306), CC BY 2.0
Folgen Sie dem RPP Institut auf Telegram und YouTube