Ersatzreligion: Im Rausch des Zeitgeistes

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Das post-christliche Zeitalter hat ein Vakuum aufgerissen, das mit neuen Werten gefüllt wird. Zu diesen zählen Toleranz, Solidarität und Klimaschutz. Bei ihrer strenggläubigen Verehrung handelt es sich um eine Art Ersatzreligion. Ihre kultischen Exzesse werfen aber die Frage auf, inwiefern sie tatsächlich zu einer gerechteren Welt beitragen können.

Neue Orthodoxie?

Fragt man Patienten, was sie im Leben gerne erreicht hätten, wenn sie im Sterbebett liegen, dann kommt als Antwort nicht etwa Selbstverwirklichung, sexuelle Abenteuer oder Geld. Nein, die meisten antworten, dass sie gerne eine geglückte Beziehung mit ihren Kindern und ihrem Partner hätten oder sich vor dessen Tod mit dem Vater versöhnen wollen. Diese Antworten werden völlig unabhängig von der jeweiligen Weltanschauung gegeben. Unser aktueller gesellschaftlicher Diskurs wird jedoch von gänzlich anderen Werten dominiert. Neben dem Mammon gehören Toleranz, Solidarität und Klimaschutz zu den orthodoxen Werten unserer Zeit.

Obwohl die Toleranz in schrillen Tönen gepredigt wird, gilt sie am Ende eigentlich nur für jene, die auch die korrekte Meinung vertreten. Während es noch vor dreißig Jahren üblich war, mit Personen unterschiedlichster Gesinnung ungezwungen zu plaudern, schlittern wir heute in eine zunehmend gespaltene und intolerante Gesellschaft. Um sich vor einem Shitstorm zu schützen, muss man bereits Acht geben, wem man ein Interview gibt und mit wem man sich ablichten lässt, denn es gilt quasi die Kontaktschuld.

Während des Corona-Ausnahmezustands, wurde die Bevölkerung von allen Seiten zur Solidarität ermahnt. Wer das herrschende Narrativ über Lockdowns, Maskenpflicht und Zwangsimpfung hinterfragte, wurde als unsolidarisch abgestempelt. Um den Kollaps des Gesundheitssystems abzuwenden, forderten die Autoritäten blinden Glauben an ihre schützende Macht ein.

Auch beim Thema Klima sehen wir eine neue Form von Frömmigkeit aufleben. Gerade dort, wo Menschen an nichts mehr zu glauben meinen, tritt eine besonders fanatische Ersatzreligion auf. Der Glaube richtet sich in diesem Fall nicht an ein transzendentes Wesen, sondern an diesseitige Klimamodelle. Das apokalyptische Element des Klimawahns besteht in der Angst vor einem bevorstehenden Massensterben und der Dringlichkeit der kollektiven Reue und Umkehr.

Hier geht es zu Jasmin Kosubeks Interview mit DDr. Raphael Bonelli.

Säkulare Ersatzreligion

Die Schattenseite dieser neuen Religiosität liegt darin, dass sie nicht nur den Idealismus junger Menschen benutzt, sondern auch etwas Destruktives an sich hat. Mit dem quasi-religiösen Sendungsbewusstsein kommt eine moralische Abhebung vom „Pöbel“ und der damit einhergehenden Rücksichtslosigkeit gegenüber Andersdenkenden. Wer erkoren ist, die Welt zu retten, darf – ja, muss sogar – von anderen Opfer einfordern. Die Philosophie dahinter ist aber machiavellistisch: Der Zweck heiligt die Mittel. Die Menschenwürde wird somit dem vorgeblichen Schutz der Demokratie, der Gesundheit oder des Klimas untergeordnet.

Der Exzess beginnt dort, wo das gesamte Weltbild auf ein einziges Thema eingeschränkt wird. Das führt zu einem Schwarz-Weiß-Denken, das der Gesellschaft Verhaltensnormen auferlegt und Andersdenkende denunziert. Selbstverständlich ist es ein legitimes Anliegen, sich für Schützenswertes einzusetzen. Für die einen ist es das ungeborene Leben oder die Eisbären, für die anderen ist es die Wirtschaft oder das Klima. Wenn aber prominente Klima-Aktivisten dabei erwischt werden, dass sie Urlaub auf Bali gemacht haben und sich damit als überdurchschnittliche C02-Sünder entlarven, tritt die regelrechte Heuchelei in ihrem moralischen Kreuzzug zutage.

Prüfstein einer weltanschaulichen Bewegung ist der höchste Zweck, dem sie dient. Der Religionsphilosoph Paul Tillich definierte Religion als das „äußerste Anliegen“ (ultimate concern). Demnach seien „Quasi-Religionen“ dadurch gekennzeichnet, dass sich ihr äußerstes Anliegen auf säkulare Werte wie Nationalstaat, Klassenlosigkeit oder Wissenschaft bezieht. Zuvor stellte der Journalist Hermann Ullmann die These auf, dass der Verlust der konventionellen Religionen durch Ersatzgebilde kompensiert würden. Noch mehr als ihre Vorgänger benutzen die neuen Ersatzreligionen Terror, politischen Zwang und Theatralik, um ihre Anliegen durchzusetzen.

Das heilsame Potenzial des Herzens

Die Verbreitung säkularer Ersatzreligionen wird technologisch unterstützt. Eine Nebenwirkung der digitalen Vernetzung ist, dass viele Menschen an einer extremen Unruhe leiden. Im Rausch des Zeitgeistes übersehen wir oft die alten Weisheiten, die uns noch heute etwas zu sagen haben. Diese Ressourcen helfen unserem Herzen, klarer zu sehen. Sie rufen uns auf, uns selbst ein wenig zurückzunehmen, um den anderen besser zu verstehen. Sie wissen um die Kraft der Dankbarkeit und den Wert des Dienstes am Nächsten. Sie zeigen uns die heilsame Fähigkeit des Herzens, wahrhaftig zu bereuen, zu verzeihen, aber vor allem auch gelassener zu werden.

Bildquellen
Maksim Goncharenok, https://www.pexels.com/photo/woman-at-a-flower-field-4348589/
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