Viele fragen sich heutzutage, wie man glücklich wird. Vermutlich stellen wir uns diese Frage schon seit Urzeiten. Schriftlich belegt ist diese Frage spätestens seit der griechischen Antike. Bei den alten Philosophen war die Kunst des geglückten Lebens ein wichtiges Thema. Dr. Raphael Bonelli stellt ihre Ideen auf eine psychologische Grundlage und bietet eine Anleitung zum Glücklichsein.
Kurz- oder langfristiges Glück?
Zunächst ist zu unterscheiden zwischen kurzfristiger Befriedigung und langfristigem Glück. Manche meinen, sie wären irgendwann glücklich, wenn sie nur genügend Lustbefriedigungen aneinanderreihen würden. Insbesondere bei Männern ist die Ansicht häufig anzutreffen, dass eine Reihe von Liebschaften zum großen Glück verhelfen würde. Irgendwann begegne man dann der Frau seines Lebens. Bis dahin meinen sie, ihre Partnerin im Schnitt alle zwei Jahre wechseln zu müssen.
Solche Männer sind oft geschieden oder heiraten erst gar nicht. Man(n) möchte sich schließlich die Optionen freihalten. Kurzfristige Befriedigung ist zwar süß und intensiv, aber vor allem eines: kurz. Langfristiges Glück hingegen ist äußerst stabil. Es wirkt nach außen hin vielleicht nicht so spektakulär, aber es ist robust und hält ein Leben lang.
Das Verlangen nach kurzfristiger Befriedigung kommt aus dem Bauch heraus. Ihm geht es nur um zwei Dinge: Maximierung von Lust und Vermeidung von Unlust. Das ist nicht weiter schlimm, sondern sogar durchaus nützlich. Aber wir dürfen nicht den ganzen Menschen auf den Bauch reduzieren. Denn er denkt nicht an morgen. Der Bauch agiert impulsiv. Heute will er diese Frau (oder diesen Mann), jetzt will er diesen Kuchen essen.
Nur auf den Bauch zu hören ist einseitig und bringt den Menschen nicht weiter. Alleine macht der Bauch auf Dauer nicht glücklich. Er braucht einen Gegenspieler. Er muss richtig interpretiert werden und braucht klare Grenzen. Der Kopf ist die Antithese zur These des Bauches. Der Kopf kann die Impulse des Bauches einordnen und reflektieren. Aber auch ein vernünftiger Kopf genügt nicht, um glücklich zu sein.

Die Kunst des glücklichen Lebens
Das, was wirklich glücklich macht—und das wusste Aristoteles bereits vor 2.300 Jahren—ist das Herz. Aristoteles nannte es das tugendhafte Leben. Dies sei der Schlüssel zur Eudaimonie, also dem gelungenen Leben. Heute können wir das so formulieren: Wer sein Leben aus dem Herzen heraus lebt, der wird glücklich sein. Das Herz am rechten Fleck zu haben, bedeutet, gemäß den Tugenden zu leben. Das ist dann der Fall, wenn der Wille sich am Wahren, Schönen und Guten orientiert.
Tugenden sind verkörperte Werte. Unser Gewissen unterstützt uns dabei, unsere Handlungen mit unseren höchsten Werten abzugleichen. Das heißt, Kopf und Wille erkennen, was richtig und gut ist. Das Gute zu erkennen ist aber noch nicht ausreichend, um das Gute auch zu tun. Denn der Bauch funkt dazwischen und schickt uns ständig Impulse, die wir befriedigen sollen.
Das Streben nach Wahrheit kann den Bauch daran hindern, seine kurzfristige Lust zu maximieren. Langfristig tut es dem Menschen gut, die Wahrheit zu sagen, denn Lügen haben bekanntlich kurze Beine. Schließlich werden wir von unserem Gewissen eingeholt, welches unsere Handlungen nach den Kriterien unserer höchsten Werte prüft. Handelt man lange genug entsprechend dem eigenen Gewissen, einem wesentlichen Teil des Herzens, so werden die Tugenden Teil unserer Natur.
Glück ist eine Frucht
Nach Aristoteles gibt es vier Tugenden, die zum Glück führen: Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Maß. Das Maß des Herzens korrigiert die Lustmaximierung des Bauches. Wir benötigen Selbstbeherrschung, um Versuchungen zu widerstehen. Die Tapferkeit wirkt der Unlustvermeidung entgegen. Das heißt, mit ihr lässt sich die Angst davor, das Richtige zu tun, überwinden. Die Klugheit orientiert den Kopf und erlaubt uns, unsere Ängste richtig einzuschätzen. Denn nicht jede Angst ist falsch. Dieses Bauchgefühl kann auch berechtigt sein. Die Gerechtigkeit schließlich reinigt den Willen und gibt uns ein erstrebenswertes Ziel.
Den Schlüssel zum langfristigen Glück finden wir also nicht im Bauch und auch nicht in äußeren Werten. Wir finden ihn im Herzen. Glück erfordert Tugend und kommt uns nicht ohne Anstrengung zugeflogen. Erich Fromm formulierte es so: „Glück ist kein Geschenk der Götter, sondern die Frucht innerer Einstellung.“ Nichts hilft uns mehr, unsere Einstellung zum Leben zu schärfen und unsere Prioritäten zu ordnen, als die Sterbebettfrage: Was für ein Leben möchtest Du gelebt haben? Ein Leben mit noch mehr Befriedigung? Oder ein Leben, das von liebevollen und tiefen Beziehungen erfüllt war?